Ruben Staub (29) ist einer der Stars innerhalb der Neuen Philharmonie MV. Bei der letzten Tournee von Stadt.Land.Klassik! vor der anderthalbjährigen Corona-Pause begeisterte er die Fans in Mecklenburg-Vorpommern als Solist im Klarinettenkonzert von Carl Maria von Weber. Daneben spielt er seit Jahren in der Band One Earth Orchestra – deren erstes Album jetzt im Handel erschienen ist. Worauf sich Fans auf der Platte freuen können, verriet er Nordkurier-Reporter Sirko Salka im Interview.
Bei der letzten Tournee von Stadt.Land.Klassik! begeisterten Sie als Solist im Klarinettenkonzert. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Es ist eine ganz besondere Erinnerung, vor allem rückblickend, weil es unmittelbar vor dem ersten Lockdown war. Für mich hatte sich der Februar 2020 angefühlt wie: Jetzt geht es richtig los! Ich hatte mit meiner Band „One Earth Orchestra“ ein Album aufgenommen. Kurz darauf tourte ich mit der Neuen Philharmonie durch Mecklenburg-Vorpommern. Die Zeit war fordernd für mich. Gleichzeitig fühlte ich mich in meinem Element wie nie zuvor.
Für mich war die Tour als Solist auch etwas Besonderes, weil die Neue Philharmonie ein sehr sozialer Klangkörper ist, in dem ich viele enge Freunde gefunden habe. Ich habe mich damals sehr unterstützt und getragen gefühlt bei den Konzerten. Körperlich und geistig war das eine große Herausforderung. Wir spielten in der Stadt-Land-Klassik-Woche sieben Konzerte, jeden Abend in einem anderen Ort, in sieben verschiedenen Sälen! Natürlich hatte ich mich intensiv vorbereitet. Und so ist in dieser Woche ein echter Flow entstanden!
Was meinen Sie mit Flow?
Damit meine ich den Zustand höchster Konzentration, wenn man vollkommen mit einer Tätigkeit verschmilzt, wenn der Geist maximal geordnet ist und keine anderen Gedanken diese Ordnung stören. Flow ist für mich der schönste Zustand, den man beim Musikmachen erreichen kann.
Dieser Zustand entsteht nur dann, wenn ich mich mit Hingabe einer großen Herausforderung stelle, für die ich meine Fähigkeiten zuvor intensiv vorbereitet habe.
Warum Stadt.Land.Klassik! so gut ankommt
Bei Stadt.Land.Klassik! tritt die Neue Philharmonie MV oft in ungewöhnlichen Sälen auf, etwa in alten Kulturhäusern, Kinos, Kirchen oder Sporthallen. Wie schwierig ist das für einen Solisten, wenn jedes Konzert anders klingt?
Als Solist muss ich genau auf das Orchester hören, damit wir optimal zusammenspielen. Die Klangqualität unterscheidet sich je nach Konzertsaal von Abend zu Abend. Aber das ist das Wesen von Stadt.Land.Klassik! Wir bringen klassische Musik an Orte in Mecklenburg-Vorpommern, wo normalerweise kein Orchester gastiert. Und das kommt bei den Leuten gut an.
Wenn man grad durchstarten will, wie Sie damals, dann ist der Lockdown Gift. Wie haben Sie die Pandemie erlebt?
Die CD-Aufnahme meiner Band und die Tour als Solist bei Stadt.Land.Klassik! sind zwei Dinge, die mich enorm durch die Pandemie-Zeit getragen haben. Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich beides vorher noch realisieren konnte. Wir Musiker sind emotional sehr mit unserem Job verbunden, wir brennen für das, was wir tun. Umso enttäuschender waren die vielen Absagen: Plötzlich hatten wir keine Möglichkeiten mehr, das zu tun, was unseren Beruf ausmacht. Auf die Bühne gehen und live performen, mit dem Publikum in Kontakt treten, das sind die Belohnungen für unsere Arbeit. Und das war plötzlich nicht mehr möglich.
Die Geschichte von Stadt.Land.Klassik in zwei Teilen können Sie hier nachlesen. Teil 1: Mecklenburg-Vorpommern ist das Mutterland der Neuen Philharmonie und Teil 2: Wie die Neue Philharmonie die deutsche Orchesterlandschaft revolutioniert
Wie sind Sie mit solchen Leerläufen klargekommen?
Ich habe eine Zeit lang ganz andere Dinge gemacht, vielleicht auch als Schutzmechanismus, schließlich waren wir das Paradebeispiel für „nicht systemrelevant“. Wir waren viel in der Natur, wandern, Fahrrad fahren, gemeinsam mit meiner Familie haben wir eine Bank für den Garten und einen Brunnen gebaut, Gemüse angepflanzt usw.
Aber die Musik habe ich nie abgeschrieben, nicht einen Tag. Ich habe in der Zeit viel komponiert, drei Stücke sind entstanden. Ich kann mich genau erinnern, wie intensiv wir im Lockdown den Frühling erlebt haben. Das kann man auch in den Kompositionen hören, vor allem in meinem Stück „Aura“, das wir im April als Trio mit meiner Freundin (Fagott) und meinem Vater (Klavier) in seinem Studio aufgenommen haben.
Wie haben Sie Kontakt zu Ihren Freunden von der Neuen Philharmonie gehalten?
Im Herbst 2020 sollte Stadt.Land.Klassik! wieder starten. Wir hatten intensiv geprobt. Doch zwei Tage vor der Premiere mussten alle Konzerte erneut abgesagt werden. Das war natürlich nach so langem Durchhalten sehr schwierig für uns. Auf der anderen Seite gab es von der Neuen Philharmonie verstärkt Kontaktaufnahmen. Unsere neue Intendantin richtete eine Sprechstunde ein, gerade für die Leute, die nicht muttersprachlich deutsch sind. Dort konnten wir uns austauschen und bekamen auch Unterstützung z. B. bei Anträgen für Freischaffende Künstler auf die Corona-Hilfsprogramme. Das rechne ich der Neuen Philharmonie hoch an.
Deshalb lernte Ruben Staub Klarinette spielen
Ihr Vater ist Komponist, welche Musik haben Sie als Kind gehört, und welche Rolle spielte Ihr Vater bei der Wahl Ihres Instrumentes, der Klarinette?
Ich habe unterschiedliche Musik gehört, als Teenager z.B. vor allem Popmusik. Zu bestimmten Zeiten habe ich mich intensiv mit Klezmermusik vor allem von Giora Feidman, beschäftigt. Das hat meine Entscheidung, ein Instrument zu spielen, mitgeprägt. Später, kurz vor dem Studium, durfte ich Feidman auf einem Kurs in Israel kennenlernen und sogar mit ihm auf der Bühne stehen. Mit meinem Papa habe ich verschiedene Instrumente ausprobiert. Ich war neun Jahre alt und wollte partout kein Instrument lernen, das mein Vater beherrschte. Ich wollte mein eigenes Ding, ganz für mich allein. Eines Tages waren wir dann bei einem Klarinettenlehrer. Als mein Papa hineinpustete, quietschte es. Bei mir kam ein Ton raus. Meine Entscheidung war gefallen.
Ihr Vater und Sie sind Gründungsmitglieder der Band One Earth Orchestra. Ihre CD „Journey“ ist soeben im Handel erschienen…
Die Band als Projekt gibt es seit zehn Jahren. Im Grunde war der Anstoß für deren Gründung dieser: Im Vorfeld der Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen 2012 in Hyderabad, Indien wurde mein Vater gefragt, ob er dort in Form eines Konzerts einen künstlerischen Impuls zum Schutz der kulturellen und biologischen Vielfalt setzen wolle. Für dieses Konzert gründete er das Quintett. Die Idee: Wir wollten mit Musik den engen Zusammenhang von biologischer und kultureller Diversität thematisieren und uns für dessen Erhalt einsetzen. Weitere Konzerte und Tourneen folgten, nach Chile, Peru, Ekuador und Costa Rica. Durch den intensiven Austausch mit Musikern anderer Kulturen haben wir als Band eine ganz eigene Klangsprache entwickelt. Und die kann man nun auf unserem neuen Album hören!
Wie versuchen Sie, die Vielfalt zu repräsentieren?
Zunächst einmal durch eine hohe Diversität verschiedener Stile innerhalb der Band: Von klassischer Musik, über Jazz bis hin zu verschiedener Volksmusik. Unser serbischer Akkordeonist Dragan Ribić z.B. hat klassische Musik und Jazz studiert und bringt zusätzlich noch Musik aus seiner Heimat mit, die er meisterhaft beherrscht. Unsere polnische Cellistin Julia Biłat komponiert und singt wunderschön. Außerdem suchen wir immer wieder den Dialog mit Musikern anderer Kulturen. Auf den Tourneen haben wir über viele Tage mit indigenen Communities zusammengearbeitet. Hier in Deutschland haben wir mit fantastischen Musikern z.B. aus Südafrika, Indien, dem Senegal und Afghanistan konzertiert. Diese Vielfalt fließt in unsere Musik und unsere Kompositionen mit ein.Ein schönes Beispiel dafür ist unsere Begegnung mit den indigenen Otavalos in Ekuador. Wir haben auf einer Konzertreise im März 2017 drei Tage lang zusammen mit den Otavalos gelebt, an ihren spirituellen Festen teilgenommen und intensiv ihre faszinierende Musik erforscht. Die Lebendigkeit ihrer Spiritualität, ihre besondere Gastfreundschaft und der fruchtbare musikalische Austausch machten diese Begegnung zu einer der schönsten Erinnerungen von unseren Tourneen. An einem dieser Tage spielten sie uns auf ihren handgefertigten Bambusflöten eine ihrer Melodien vor, die mich so fasziniert hat, dass sie mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht. Diese traditionelle Melodie und die unvergessliche Begegnung waren die Inspiration für meine Komposition „Aya Uma“. Am Anfang des Stücks hört man besagte Melodie, sozusagen im Original, von mir auf einer der Bambusflöten eingespielt, die uns von den Otavalos geschenkt wurde.
Klingt nach einer guten Mischung, sind aber zwei Welten: Ihre Mitgliedschaft in der Neuen Philharmonie und in der Band, oder wie sehen Sie das?
Ja, das waren lange zwei unvereinbare Welten für mich! Anfangs haben wir in der Band nach Noten gespielt. Mittlerweile ist es eine Mischung aus Komponiertem und Improvisiertem: eine völlig andere Herangehensweise. Jetzt ergänzen sich die beiden Welten auf eine ganz spannende Art und Weise!
Fortlaufend aktualisierte Beiträge über Stadt.Land.Klassik können Sie auch auf den Seiten des Nordkurier nachlesen.
Auf was für Stücke können wir uns auf der Platte freuen, inwiefern sind sie im gängigen Drei-Minuten-Popsongformat gehalten?
(lacht) Drei Minuten Popsongs haben wir keine. Das kürzeste Stück ist weniger als zwei Minuten lang. Das längste elf. Es handelt sich hauptsächlich um eigene Kompositionen und einige eigene Arrangements. Das erste Stück ist die Komposition von mir, die von der einzigartigen Begegnung mit den indigenen Otavalos in Ekuador inspiriert ist. Dann haben wir bulgarische und serbische Klänge. Eine Komposition von meinem Vater über senegalesische Rhythmen. Dann folgen Eigenkompositionen unserer Mitglieder, die sehr in Richtung Jazz gehen. Und am Ende stehen noch zwei meiner liebsten Klezmer-Stücke, die ich arrangiert habe.
Sie haben beides – im Herbst touren Sie mit der Neuen Philharmonie wieder durch Mecklenburg-Vorpommern – und Ihre Band. Was macht mehr Spaß, Dienst nach Noten oder freies Improvisieren?
So, wie es grad ist – oder wie es hoffentlich bald wieder sein wird –, ist es perfekt. Für mich befruchten sich beide Welten unheimlich. Ich liebe klassische Musik, damit habe ich schließlich mein ganzes Studium verbracht. In meinen Kompositionen spielt sie immer eine Rolle: die unglaubliche Kunst der Form und die intensive Entwicklung von Melodien und Motiven. Ich mag aber auch den Groove, die Spontaneität und die Farbigkeit der anderen Musik, die ich mache. Weltmusik. Jazz. Das vermischt sich bei mir sehr. Und das hört man auch auf der CD!
Die Band von Ruben Staub heißt One Earth Orchestra, deren erstes Album „Journey“ ist jetzt erschienen. Infos zum Album erhalten Sie hier